AGES-Radar für Infektionskrankheiten - 31.10.2024
Zusammenfassung
Österreich hat heuer Höchstzahlen bei zwei Infektionskrankheiten: Pertussis/Keuchhusten (13.341 Fälle, Stand 29.10.2024) und West-Nil-Fieber (36 Fälle, Stand 30.10.2024).
Im Herbst wird die Überwachung für Atemwegserkrankungen wieder verstärkt. Bisher treten Infektionen mit Influenzaviren und RSV noch kaum in Erscheinung. Für SARS-CoV-2 wird im Abwasser ein leichter Abwärtstrend beobachtet. In Kalenderwoche 41 wurden 821 Menschen mit COVID-19 im Spital aufgenommen.
International geben wir Updates zu den Ausbrüchen der Aviären Influenza, Cholera und dem Marburg-Virus. Aviäre Influenza breitet sich in den USA bei Milchkühen weiter aus, der Ausbruch ist nicht unter Kontrolle.
Im Thema des Monats stellen wir Polio vor: Warum muss noch immer geimpft werden? Kehrt die Kinderlähmung zurück?
In unseren Meldungen finden sich der Tuberkulose Jahresbericht und auch eine positive Nachricht: Laut WHO ist Ägypten Malaria-frei.
Situation in Österreich
Seit Kalenderwoche 40 wird die Überwachung akuter Atemwegserkrankungen in Österreich intensiviert. Die aktuellen Daten werden auf der Diagnostische Influenza Netzwerk Österreich (DINÖ) Homepage veröffentlicht. In den für die Überwachung ausgewählten Arztpraxen (Sentinel) werden derzeit nur sehr vereinzelt Proben positiv auf Influenza getestet.
Auf der südlichen Erdhalbkugel ist die Grippesaison ein halbes Jahr voraus, aufgrund der unterschiedlichen Abfolge der Jahreszeiten. Der Verlauf dort gibt grobe Hinweise, wie die Saison auf der Nordhalbkugel werden könnte:
Beispielsweise erkrankten in Australien heuer sehr viele Personen an Influenza: Bis 20. Oktober 2024 wurden dem National Notifiable Diseases Surveillance System (NNDSS) 350.103 Influenza Fälle gemeldet; dies ist die höchste Zahl, die in den letzten Jahren für die Zeit von Jahresbeginn bis 20. Oktober gemeldet wurde. Dieses Jahr wurden hauptsächlich Influenza-A-Viren nachgewiesen.
Die Influenza-Impfung ist im Rahmen des öffentlichen Impfprogramms (ÖIP) Influenza für die Saison 2024/2025 erstmals für alle gratis. Im ÖIP Influenza stehen für diese Influenzasaison drei verschiedene Impfstoffe zur Verfügung. Ein Lebendimpfstoff, der mittels eines Nasensprays verabreicht wird (FLUENZ), ist für Kinder und Jugendliche ab dem vollendeten 2. Lebensjahr bis zum vollendeten 18. Lebensjahr zugelassen. Für alle Altersgruppen ab dem vollendeten 6. Lebensmonat gibt es einen inaktivierten Impfstoff (INFLUVAC TETRA), welcher vier verschiedene Influenzastämme beinhaltet. Für Personen ab dem vollendeten 60. Lebensjahr steht ein weiterer Impfstoff (FLUAD TETRA) zur Auswahl.
Informationen zum Impfprogramm und teilnehmende Impfstellen: https://impfen.gv.at/impfungen/influenza.
Laut dem European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) ist die COVID-19 Aktivität zu dieser Jahreszeit im Vergleich zum Jahr 2023 im europäischen Durchschnitt auf niedrigem Niveau. Dennoch schwankt die Virusaktivität im Ländervergleich und einige Länder, wie auch Österreich, verzeichnen eine relativ hohe SARS-CoV-2 Aktivität: in Kalenderwoche 41 wurden laut SARI Dashboard 821 Personen mit einer COVID-19-Infektion hospitalisiert, von denen 28 Patient:innen intensivmedizinisch betreut wurden. Im Vergleich dazu sind im gleichen Zeitraum des Vorjahres 432 Aufnahmen mit COVID-19-Diagnose auf Normalstationen erfasst worden. Im Abwassermonitoring ist nach einem Höhepunkt der Viruslast im September, im Oktober ein leichter Rückgang erkennbar.
Die COVID-19-Impfung wird in Österreich kostenfrei angeboten und ist für alle ab dem vollendeten 6. Lebensmonat möglich. Ab dem vollendeten 12. Lebensjahr ist die Impfung allgemein empfohlen. Die Impfstoffe werden immer wieder an aktuelle Virusvarianten angepasst. Aktuell stehen Variantenimpfstoffe, die gegen JN.1 bzw. KP.2 gerichtet sind, zur Verfügung. Es wird davon ausgegangen, dass beide Impfstoffe einen guten Schutz vor schweren Verläufen der aktuell zirkulierenden Virusvarianten bieten.
Weitere Informationen zum Impfangebot der einzelnen Bundesländer können unter COVID-19 | Impfen schützt einfach. eingesehen werden
Im heurigen Herbst konnten in den Sentinel-Proben noch keine RSV-Infektion nachgewiesen werden, entsprechend wird die Virusaktivität für Oktober noch sehr gering eingeschätzt. Im Vorjahr startete die RSV-Saison in Kalenderwoche 41 und hatte Anfang Februar 2024 ihren Höhepunkt. Mit einem vermehrten Anstieg der Virusaktivität ist in den nächsten Wochen zu rechnen. Die Häufigkeit von RSV-Infektionen ist bereits voriges Jahr auf das Niveau vor der COVID-19-Pandemie zurückkehrt. Während der Pandemiejahre konnte aufgrund der Bekämpfungsmaßnahmen ein allgemeiner Rückgang von Atemwegserkrankungen verzeichnet werden.
Zur Vermeidung von durch RSV ausgelösten Erkrankungen der unteren Atemwege stehen seit 2023 Impfstoffe zur aktiven Immunisierung zur Verfügung. Die Impfung wird aufgrund der hohen Zahl an Erkrankungen mit schweren, mitunter lebensbedrohlichen Verläufen bei Personen höheren Alters ab dem vollendeten 60. Lebensjahr allgemein empfohlen.
Weiters ist einer der Impfstoffe für die Impfung von Schwangeren (24. bis 36. Schwangerschaftswoche) zum passiven Schutz von Neugeborenen durch mütterliche Antikörper zugelassen. Schwangere können auf Wunsch entsprechend der Zulassung einmalig geimpft werden, wenn der Geburtstermin zwischen September und März liegt.
Weitere Informationen zu den Impfungen stehen unter Respiratorisches Synzytial-Virus (RSV) - Impfservice Wien zur Verfügung.
2024 wurden in Österreich mehr Fälle von West-Nil-Fieber gemeldet als je zuvor, mit Stand 28.10.2024 waren 36 Infektionen bei Menschen bestätigt. Betroffen waren ausschließlich Erwachsene im Osten Österreichs. Im Vergleich zum letzten Radar ist ein neuer Fall dazu gekommen.
Im Rahmen eines von der AGES durchgeführten Überwachungsprogramms wurden Fallen in ganz Österreich aufgestellt. Für die nächsten drei Jahre ist ein einheitliches, österreichweites Monitoring gesichert. Heuer wurden bereits über 7.700 Gelsen gefangen und auf das West-Nil-Virus getestet, drei der Proben waren positiv. Eine Probe hat sich später als Usutu-Virus herausgestellt, das mit dem West-Nil-Virus nahe verwandt ist und beim Menschen nur sehr selten Krankheitssymptome auslöst.
Neben Österreich haben 19 weitere europäische Länder Fälle von West-Nil-Fieber gemeldet. Die ECDC ruft alle Länder auf, die Sicherheit von Blutspenden zu überwachen, beobachtet die Entwicklung und betreibt ein aktuelles Dashboard.
Für Menschen gibt es keinen zugelassenen Impfstoff. Als Vorbeugung sollte versucht werden, Gelsenstiche zu vermeiden (Kleidung, Repellents).
Die Pertussis-Fallzahlen sind in Österreich und vielen Ländern Europas im Jahr 2024 massiv angestiegen, auch in Ländern mit hoher Durchimpfungsrate. Details dazu haben wir im AGES-Radar vom 28.03.24 dargestellt.
Während im gesamten Vorjahr 2.791 Fälle in Österreich gemeldet wurden, sind es heuer bisher 13.441 Pertussis-Erkrankungen (Stand: 29.10.2024). Die Fälle pro 100.000 Einwohner für jedes Bundesland für das Jahr 2024 sind in Abbildung 1 dargestellt. Die Altersverteilung (Abbildung 2) zeigt wie stark vor allem Kleinkinder betroffen sind.
Auch bei einer hohen Impfquote muss mit Erkrankungen gerechnet werden. Der Sinn der Impfung ist in erster Linie der Schutz von Säuglingen und Kleinkindern vor einem schweren Verlauf und Tod, denn durch hohe Durchimpfungsraten werden auch nicht-immune Personen geschützt. Dazu zählen Säuglinge vor dem 3. Lebensmonat, die noch nicht geimpft werden können und ein besonders hohes Risiko für einen schweren, potenziell tödlichen, Verlauf haben.
Die Impfung ist in Österreich für Kinder im kostenfreien Impfprogramm enthalten. Aufgrund der aktuellen Lage wurde das Impfschema geändert: Im neuen Impfplan vom 1. Oktober 2024 heißt es: „Die Impfung … wird im Rahmen der 6-fach Impfung nach dem 2+1 Schema im 3., 5. und 11.–12. Lebensmonat geimpft. Aufgrund des häufigen Vorkommens von Keuchhusten und des schweren Verlaufs im Säuglingsalter sollte mit der Impfserie so früh wie möglich begonnen werden, d. h. unmittelbar mit Vollendung des 2. Lebensmonats. Die erste Auffrischungsimpfung sollte aufgrund der derzeitigen epidemiologischen Situation im 6. Lebensjahr (ab dem vollendeten 5. Lebensjahr) erfolgen. Bevorzugt sollte die Auffrischungsimpfung noch vor Schuleintritt erfolgen … “ Die 2. Auffrischungsimpfung wird derzeit fünf Jahre nach der 1. Auffrischungsimpfung, spätestens jedoch im 14. bzw. 15. Lebensjahr, empfohlen. Danach sind Auffrischungsimpfungen gegen Keuchhusten aktuell alle fünf Jahre empfohlen.
Um Säuglinge in den ersten Lebensmonaten zu schützen, wird insbesondere schwangeren Frauen im letzten Schwangerschaftsdrittel die Impfung nahegelegt, unabhängig vom Abstand zur letzten Pertussis-Impfung. Dadurch erhalten Neugeborene durch mütterliche Antikörper einen Schutz.
Weiterführende Informationen zur Pertussis-Impfung finden Sie im Impfplan Österreich 2023/2024 Version 2.0 (sozialministerium.at).
Keuchhusten (Pertussis) - AGES
Am 19. August wurde aus Deutschland eine Fallhäufung gemeldet, die durch Salmonella Umbilo ausgelöst wurde. Innerhalb einiger Wochen traten weitere Fälle in acht europäischen Ländern auf. Bei lebensmittelbedingten Krankheitsausbrüchen ist es entscheidend, möglichst rasch die Quelle zu finden, um die belasteten Lebensmittel aus dem Verkehr zu ziehen. Mitarbeiter:innen der AGES waren an dieser Ausbruchsabklärung maßgeblich beteiligt und konnten letztlich den Ausbruchsstamm von Salmonella Umbilo in Rucola nachweisen.
Zwischen Juli und September traten in Österreich 19 Fälle auf, zwei Personen mussten hospitalisiert werden. Alle 19 wurden über ihren Konsum von Lebensmitteln befragt, um der Quelle der Infektion auf die Spur zu kommen. Wegen der ausgezeichneten Zusammenarbeit mit Lebensmittelbehörden in Österreich konnte am 20. September in zwei Rucola-Proben Salmonella Umbilo nachgewiesen werden. Die Vertriebswege wurden ausfindig gemacht und es wurden umgehend Kontrollmaßnahmen beim Hersteller in Italien eingeleitet, um die Ware aus dem Verkehr zu ziehen. Seit Mitte September gibt es in Österreich keine neuen Fälle mehr, der Ausbruch gilt als abgeklärt.
Internationale Ausbrüche
Mit Herbstbeginn und der Rückkehr der Zugvögel steigt in Österreich für Vögel die Gefahr durch Vogelgrippe. Die Infektionszahlen bei Wildvögeln, Geflügel und anderen Vögeln in Gefangenschaft in Europa steigen und in Österreich gab es bereits Ausbrüche bei Geflügel und Kleinhaltungen. Für Hobby-Geflügelhalter hat die AGES im Auftrag des Ministeriums Informationsvideos erstellt, die über Krankheitszeichen und Maßnahmen informieren.
Für die allgemeine Öffentlichkeit bleibt das Infektionsrisiko gering, für beruflich Exponierte gering bis mittelmäßig.
In den USA hat die Milchindustrie das Problem noch nicht in den Griff bekommen: Es haben sich weitere Menschen infiziert, damit sind im Jahr 2024 bisher 36 humane Fälle in den USA gemeldet worden. Auch fand erstmals eine Übertragung von H5N1 auf ein Schwein statt. Die Zahl der infizierten Viehherden wächst ständig, sowohl nationale als auch internationale Expert:innen kritisieren inzwischen die aus ihrer Sicht zu zurückhaltenden Behörden: Es gebe zu wenig Kontrollen und zu wenig Bemühungen, die weitere Ausbreitung zu verhindern.
Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung konnte bisher nicht festgestellt werden.
Details zum Infektionsgeschehen in den USA finden Sie im Radar vom 29.08.2024.
Weitere Informationen zur aviären Influenza in Österreich finden Sie im Tierseuchenradar.
H5 Bird Flu: Current Situation | Bird Flu | CDC
Mit 14. Oktober 2024 meldete die WHO weltweit 463.400 mit Cholera infizierte Personen, 3.800 davon sind an der Erkrankung verstorben. Im Radar für Infektionskrankheiten vom letzten Monat waren es 411.800 Fälle und 3.100 Todesfälle durch Cholera (Stand: 16.09.2024). Aus 31 Ländern wurden dieses Jahr Ausbrüche gemeldet.
Die WHO schätzt das globale Risiko als sehr hoch ein. In Gebieten mit Konflikten oder mangelhafter medizinischer Versorgung und unzureichend ausgebauter Infrastruktur sind Choleraausbrüche besonders besorgniserregend; beispielsweise im Sudan, wo seit April 2023 ein Bürgerkrieg herrscht und es mehrfach zu Choleraausbrüchen kam.
Die ECDC schätzt das Risiko für Reisende in betroffene Gebiete als gering ein, dennoch ist ein Import einer Choleraerkrankung in europäische Regionen möglich.
Derzeit gibt es in Ruanda den ersten Marburgvirus-Ausbruch des Landes. Seit dem 27. September und bis zum 24. Oktober 2024 wurden insgesamt 64 Marburgvirus-Fälle, darunter 15 Todesfälle, gemeldet; 46 Fälle wurden geheilt. 82 % der Fälle sind auf zwei Krankenhaus-Cluster in Kigali zurückzuführen. Die Quelle des Ausbruches ist laut WHO zoonotischen Ursprungs und steht in Verbindung mit einer Exposition zu Flughunden in einer Höhle.
Das Marburgvirus-Fieber ist eine hochvirulente Krankheit, die hämorrhagisches Fieber verursachen kann; 22 bis 88 % aller Fälle führen zum Tod. Menschen infizieren sich mit dem Marburgvirus, wenn sie in engen Kontakt mit Rousettus-Fledertieren kommen, einer Flughundart, die das Marburg-Virus übertragen kann und häufig in Bergwerken oder Höhlen zu finden ist. Das Marburgvirus wird dann von Mensch-zu-Mensch durch direkten Kontakt (über verletzte Haut oder Schleimhäute) mit Blut, Sekreten, Organen oder anderen Körperflüssigkeiten infizierter Personen sowie mit Oberflächen und Materialien (z. B. Bettwäsche, Kleidung), die mit diesen Flüssigkeiten kontaminiert sind, übertragen.
Es gibt derzeit keine spezifische antivirale Behandlung und auch keinen zugelassenen Impfstoff. Daher sind Präventiv- und Schutzmaßnahmen der einzige Schutz gegen das Virus.
Thema des Monats
Jährlich findet am 24. Oktober der Welt-Poliotag statt, um das Bewusstsein für die Krankheit Poliomyelitis (Kinderlähmung) zu stärken und daran zu erinnern, dass das erklärte Ziel, die weltweite Ausrottung der Poliomyelitis, nur mit weiteren globalen Impfanstrengungen erreicht werden kann.
Krankheit mit Geschichte
Die Poliomyelitis (kurz: Polio) ist eine Infektionskrankheit, die weltweit verbreitet war und vermutlich bereits im alten Ägypten auftrat. Die Krankheit geht im Vollbild mit akuten schlaffen Lähmungserscheinungen einher, die bis zum Tod führen können. Vor allem unter mangelhaften hygienischen Bedingungen war sie vor Einführung der ersten Impfung 1955 so weit verbreitet, dass die Durchseuchung bereits im frühen Kindesalter stattfand, daher auch der Name „Kinderlähmung“. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war Polio schätzungsweise für eine halbe Millionen Todesfälle pro Jahr verantwortlich, diese Pandemie konnte erst durch Einführung der Impfung gestoppt werden. Nachdem die Impfstoffe sehr wirksam sind und der Mensch das einzige Reservoir für das Virus darstellt, ist es prinzipiell möglich, die Krankheit auszurotten. So hat die WHO in den 1980ern das Ziel gesetzt, die Poliomyelitis vollständig zu eliminieren. Durch internationale Impfprogramme ist dies beinahe gelungen: Gab es 1988 weltweit noch mehr als 350.000 Fälle, waren es 2023 nur mehr zwölf, 2024 bisher 54 Fälle. Diese sind alle in Afghanistan und Pakistan aufgetreten - den letzten beiden Ländern, in denen Polio noch endemisch ist. Außer dem asiatischen Kontinent gelten alle anderen Kontinente als frei von Polio (Europa beispielsweise seit 2002). Auch konnten zwei der drei Wildstämme komplett ausgerottet werden. Jedoch bringen unzureichende Durchimpfungsraten, unter anderem bedingt durch das vermehrte Auftreten von Krisenherden und einer in manchen Ländern beobachtete Impfmüdigkeit, diesen Erfolg in Gefahr.
Polioviren
Erreger der Poliomyelitis sind Polioviren 1-3 (Wildtyp), die zur Klasse C der Enteroviren gehören. Sie sind hoch infektiös und sehr resistent gegenüber Umwelteinflüssen, auch gegenüber gängigen Desinfektionsmitteln. Sie kommen nur im Nasen-Rachen-Raum beziehungsweise im Darmtrakt des Menschen vor, ihre Hochsaison ist in den wärmeren Monaten. Die Übertragung erfolgt vorwiegend direkt von Mensch-zu-Mensch, beispielsweise über kontaminierte Hände von Infizierten. Aber auch eine indirekte Übertragung über kontaminierte Oberflächen (Gebrauchsgegenstände) oder kontaminiertes Trink-/Badewasser ist möglich. Die Viren werden dabei über die Schleimhäute der Atemwege beziehungsweise des Verdauungstrakts aufgenommen. Infizierte können die Viren über Wochen über den Stuhl ausscheiden und so eine Infektionsquelle darstellen.
Erkrankung
Der Großteil der Infektionen (>90 %) verläuft asymptomatisch. Ansonsten kann es nach einer Inkubationszeit von ca. einer Woche (3-35 Tage) zu unterschiedlichen Verlaufsformen kommen: Von Symptomen eines leichten grippalen Infekts („abortive Poliomyelitis“), über eine Gehirnhautentzündung („nicht-paralytische Poliomyelitis“) kommt es bei unter einem Prozent bis zum Vollbild der „paralytischen Poliomyelitis“. Diese geht mit akut auftretenden schlaffen Lähmungserscheinungen einher, bei der vor allem die Beine, aber auch die Arme, der Bauch oder die Brust inklusive der Atemmuskulatur betroffen sind. Diese Lähmungen bilden sich nur teilweise wieder zurück. Schwere Lähmungen des Atemapparats oder des Herzens können zum Tod führen. Auch Jahre nach Erkrankung kann es wieder zu einer Zunahme der Beschwerden kommen, dem „Postpoliosyndrom“.
Gegen die Poliomyelitis ist keine ursächliche Therapie verfügbar, die Behandlung erfolgt rein symptomatisch. Oft sind lange Rehabilitationsmaßnahmen notwendig, ist die Atemmuskulatur betroffen müssen Patient:innen unter Umständen beatmet werden. Die effektivste Maßnahme die Krankheit zu verhindern ist und bleibt die Impfung.
Impfung
Seit 1955 beziehungsweise 1960 stehen zwei unterschiedliche Polio-Impfstoffe zur Verfügung – ein Totimpfstoff (inaktivierte Polio-Vakzine, IPV oder Salk-Vakzine) und ein Lebendimpfstoff (orale Polio-Vakzine, OPV oder Sabin-Vakzine). In vielen Ländern in denen Polio nicht mehr vorkommt wird die IPV eingesetzt. Dieser Impfstoff ist sicher und wirksam, er schützt nach zwei Teilimpfungen mit beinahe 100 Prozent vor einer Erkrankung. Jedoch sind Personen nach Impfung mit IPV nicht davor geschützt, sich mit Polioviren zu infizieren (ohne dabei zu erkranken) und diese auch auszuscheiden. In Österreich ist die IPV im kostenfreien Impfprogramm enthalten, Säuglinge sollten drei Teilimpfungen erhalten, gefolgt von zwei Auffrischungsimpfungen (siehe Pertussis). Danach sind weitere Auffrischungsimpfungen gegen Polio nur bei Indikation empfohlen.
Die OPV kann im Gegensatz zum IPV als Schluckimpfung verabreicht werden und wird daher dort eingesetzt wo großflächig, rasch und günstig geimpft werden muss, unter anderem in Gegenden die schwer zu erreichen sind oder in denen wenig Ressourcen vorhanden sind.
Ist Polio zurück?
Neben Ausbrüchen mit dem Wild-Poliovirus, die vor allem in Afghanistan und Pakistan vorkommen, kann es zu Ausbrüchen mit mutierten Impfstämmen kommen, die in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Der unschädlich gemachte Virusstamm aus der OPV kann rückmutieren und so seine Fähigkeit, Poliomyelitis auszulösen, wiedererlangen. Dazu muss es aber genügend empfängliche, also nicht-immune, Personen geben, in denen das Virus zirkulieren und mutieren kann. Das ist vor allem in Populationen mit niedrigen Durchimpfungsraten problematisch. Der Großteil der Poliofälle weltweit wird mittlerweile durch solche Stämme verursacht, 2018-2023 waren es mehrere Hundert pro Jahr, betroffen waren hauptsächlich Teile Afrikas und Indonesien. Durch das Entstehen von Impflücken besteht in allen Teilen der Welt ein Risiko für solche Ausbrüche. Diese besorgniserregende Entwicklung wurde zuletzt immer wieder deutlich: Um die Zirkulation impfstoffabgeleiteter Stämme frühzeitig zu erkennen, wird das Abwasser in vielen Teilen der Welt regelmäßig gescreent. Im Gazastreifen wurden 2024 wiederholt Proben positiv getestet, im August erkrankte ein nicht-geimpfter Säugling an Polio. In New York wurden 2022 hundert Abwasserproben positiv auf Polio getestet, im gleichen Jahr kam es dort auch zum ersten Poliofall mit einem mutierten Impfstamm, seit die OPV dort nicht mehr eingesetzt wird. Auch Europa ist davon betroffen, beispielsweise wurde heuer am 16. September in Spanien erstmals eine positive Abwasserprobe entdeckt, ein Erkrankungsfall trat bisher nicht auf.
Situation in Österreich
Polio ist in Österreich eine meldepflichte Erkrankung, zudem sind Ärzt:innen dazu verpflichtet, akute schlaffe Lähmungen bei Kindern zu melden und diese Patient:innen auf Polioviren zu testen. In Österreich trat 1980 der letzte Fall an Poliomyelitis durch einen Wildstamm auf, im Rahmen des Flüchtlingsscreenings wurden 2013-2015 vereinzelt mutierte Impfstämme bei asymptomatischen Personen detektiert, zu Ausbrüchen kam es bisher nicht. Um zu verhindern, dass Polio in Österreich wieder zirkulieren kann, wird (wie auch weltweit) eine Durchimpfungsrate der 1-Jährigen von 95 % angestrebt. Diese konnte in Österreich 2023 zwar erreicht werden, aber in den vergangenen Jahren war das nicht immer der Fall. Unter anderem hat die COVID-19-Pandemie zu erheblichen Impflücken geführt. Für die Auffrischungsimpfungen ab dem Volksschulalter liegt die Durchimpfungsrate niedriger. Man geht davon aus, dass 2023 unter den 2–4-Jährigen 48.000 Kinder nicht ausreichend gegen Polio geschützt waren; unter den 10–16-jährigen Kindern waren es 79.500.
So besteht global und auch in Österreich die Gefahr, dass die Poliomyelitis wieder eingeführt und weiterverbreitet werden könnte - eine Krankheit, die schon längst hätte ausgerottet werden können. Um dies zu verhindern, sind neben der laufenden Surveillance gezielte Maßnahmen zur Erhöhung der Durchimpfungsrate unbedingt notwendig.
Meldungen
Die milden Temperaturen im Herbst können dazu beitragen, dass es zu einem zweiten Aktivitätshoch von Ixodes-Zecken kommt. Bei guten klimatischen Bedingungen kann sich diese zweite Welle in Österreich bis in den Dezember erstrecken.
Der Klimawandel beeinflusst die Vektoren-Landschaft in Österreich. Im Projekt OH SURVector (One Health surveillance and Vector monitoring for cross-border pathogens) stehen Monitoring-Programme für Stechmücken und Zecken im Fokus. Durch mildere Winter und heißere Sommer wird auch das jährliche Vorkommen von verschiedenen Zeckenarten beeinflusst und man kann heutzutage in fast jedem Monat Zecken finden. Dieses Jahr wurde die erste Ixodes ricinus-Zecke („Holzbock“) bereits im Jänner gesichtet, ein Monat, welcher für diese Zeckenart normalerweise zu kalt für die Wirtssuche ist.
Im Zuge eines aktuellen Forschungsprojektes wird eine österreichweite Überwachung von Zecken aufgebaut. Hierbei spielt die österreichische Bevölkerung eine essenzielle Rolle: Sie ist dazu aufgerufen, der AGES gefundene Zecken zukommen zu lassen (Abgabe bei AGES-Standorten oder Einsendung). Damit können Daten für die verschiedensten Regionen Österreichs generiert werden.
Mit Stand 25.10.2024 wurden insgesamt 1.221 Zecken mikroskopisch analysiert. Der Großteil der Zecken gehörte dem Genus Ixodes (Gemeiner Holzbock) an (84,82 %), gefolgt von Dermacentor-Zecken (Auwaldzecke) (12,64 %), Haemaphysalis-Zecken (Reliktzecke) (1,78 %) und anderen Zecken-Arten (0,76 %).
1.035 Zecken wurden bisher auf Borrelien untersucht. Davon waren insgesamt 22,13 % positiv. Die human-relevanten Ixodes-Zecken zeigten eine Infektionsrate von 24,9 % - fast jede vierte Zecke trägt Borrelien mit sich.
2024 erhielten wir bereits elf Meldungen aus der Bevölkerung, welche wir als Hyalomma-Zecken bestätigen konnten. Der Großteil dieser Zecken wurde aus Kroatien eingeschleppt. Acht dieser Zecken wurden uns bisher für Analysen zugesandt und auf Krim-Kongo Hämorrhagisches Fieber Virus (CCHFV) und Rickettsien untersucht. In keiner wurde das CCHFV nachgewiesen, jedoch waren drei (37,5 %) positiv für Rickettsia aeschlimannii.
Sollten Sie demnächst die ein oder andere Zecke entdecken, denken Sie an das Projekt. Wichtig: bitte Fundort angeben, da die Zecken sonst nicht verwertet werden können. Mehr Infos zum Projekt und zum Mitmachen finden Sie unter: Zecken Informationen - AGES.
Als Erreger der Tuberkulose (TB) gelten die im Mycobacterium (M.) tuberculosis-Komplex (MTC) zusammengefassten, genetisch nahe miteinander verwandten Mykobakterien-Spezien M. tuberculosis, M. africanum, M. bovis, M. canettii, M. caprae, M. microti, M. mungi, M. orygis und M. pinnipedii. Die Erreger der TB werden auch als tuberkulöse Mykobakterien bezeichnet von denen M. tuberculosis für den Großteil der Infektionen verantwortlich ist. Nach einer Infektion mit MTC entwickelt nur ein Teil der Menschen eine aktive Erkrankung, welche in ca. 80 % der Fälle zu einer Erkrankung mit Lungenbeteiligung führt, dies wird als pulmonale TB bezeichnet. Seltener ist eine Manifestation in anderen Organsystemen wie beispielsweise der Haut. Derartige Fälle werden als extrapulmonale TB bezeichnet.
Im Jahr 2023 wurden 421 Fälle von Tuberkulose in Österreich neu registriert: 336 bestätigte, 58 wahrscheinliche und 27 mögliche Fälle. Im Jahr 2023 wurden an der nationalen Referenzzentrale für Tuberkulose sieben Fälle von multiresistenter Tuberkulose und zwei Fälle einer prä-extremresistenten Tuberkulose nachgewiesen.
Am 29. Oktober hat die WHO den globalen TB-Bericht veröffentlicht: In einkommensstarken Ländern spielt die Verbreitung der TB eine zunehmend untergeordnete Rolle. Weltweit hingegen zählt TB mit 1,25 Millionen Todesfällen im Jahr 2023 wieder zu den tödlichsten Infektionskrankheiten, nachdem sie 2021-2022 kurzzeitig von COVID-19 abgelöst wurde. Laut WHO erkrankten 2023 weltweit 10,8 Millionen Personen an TB. Nur zwei von fünf an einer resistenten TB erkrankten Personen erhalten eine entsprechende Behandlung.
Am 20. Oktober 2024 bestätigte die WHO, dass Ägyptens beinahe 100 Jahre andauernden Bemühungen Malaria zu bekämpfen, erfolgreich waren. Nach den Vereinigten Emiraten und Marokko ist Ägypten das dritte Land in der Ost-Mediterranen Region, das diesen Status erreicht hat. Weltweit gelten 44 Länder und ein Territorium als malariafrei. Dieses Zertifikat, dass Malaria in einem Land erfolgreich ausgerottet wurde, wird von der WHO dann verliehen, wenn das Land drei Jahre lang, ohne Zweifel, keinen Ausbruch der Erkrankung verzeichnet hat und darlegen kann, Maßnahmen gegen die Re-Etablierung der Erkrankung getroffen zu haben.
Fachbegriff Epidemiologie
Surveillance umfasst alle Bemühungen, Infektionskrankheiten zu überwachen und ist definiert als: „Kontinuierliches systematisches Sammeln, Analysieren und Interpretieren infektionsepidemiologisch relevanter Daten.“ Das Ziel ist es, die realen Verhältnisse bestmöglich zu bestimmen und eine „verbleibende Unsicherheit der Aussage zu minimieren.“ Die Daten aus der Surveillance sind die Grundlage für Maßnahmen, die dem Schutz vor Infektionskrankheiten dienen. Die infektionsepidemiologische Surveillance bildet ein Kernstück des Infektionsschutzes.
Über das Radar
Das AGES-Radar für Infektionskrankheiten erscheint monatlich. Ziel ist es, der interessierten Öffentlichkeit einen raschen Überblick zu aktuellen Infektionskrankheiten in Österreich und der Welt zu geben. Die Krankheiten werden kurz beschrieben, die aktuelle Situation wird geschildert und, wo es sinnvoll und möglich ist, wird das Risiko eingeschätzt. Links führen zu tiefergehenden Informationen. Im "Thema des Monats" wird jeweils ein Aspekt zu Infektionskrankheiten genauer betrachtet.
Wie wird das AGES-Radar für Infektionskrankheiten erstellt?
Wer: Das Radar ist eine Kooperation der AGES-Bereiche „Öffentliche Gesundheit“ und Risikokommunikation.
Was: Ausbrüche und Situationsbewertungen von Infektionskrankheiten:
- National: Basierend auf Daten aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS), der Ausbruchsabklärung und regelmäßigen Berichten der AGES und der Referenzlabore
- International: Basierend auf strukturierter Recherche
- Thema der Woche (Jahresplanung)
- Meldungen zu wissenschaftlichen Publikationen und Events
Weitere Quellen:
Akute infektiöse respiratorische Erkrankungen treten in der kalten Jahreszeit vermehrt auf, darunter COVID-19, Influenza und RSV. Diese Erkrankungen werden über verschiedene Systeme beobachtet, wie dem Diagnostischen Influenza Netzwerk Österreich (DINÖ), dem ILI-(Influenza-like-Illness)-Sentinel-System und dem Österreichischen RSV-Netzwerk (ÖRSN). Die Situation in den Krankenhäusern wird über das SARI-(Schwere Akute Respiratorische Erkrankungen)-Dashboard erfasst.
Österreichische Labore schicken SARS-CoV-2-Proben zur Sequenzierung an die AGES. Die Ergebnisse der Sequenzierung werden regelmäßig auf der AGES-Website veröffentlicht.
Für die internationalen Berichte werden Gesundheitsorganisationen (WHO, ECDC, CDC, …) Fachmedien, internationale Presse, Newsletter und Social Media routenmäßig beobachtet.
Für Infektionserkrankungen in Österreich erfolgt die Einschätzung der Situation durch die Expert:innen der AGES, ebenso für internationale Ausbrüche, für die keine Einschätzung von WHO oder ECDC vorliegen.
Disclaimer: Die Themen werden nach redaktionellen Kriterien ausgewählt, es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Anregungen und Fragen an: wima@ages.at
Da die Antwort auf Anfragen ebenfalls zwischen allen Beteiligten (Wissensmanagement, INFE, Risikokommunikation) abgestimmt wird, bitten wir um etwas Geduld. Eine Antwort erfolgt innerhalb einer Woche.
Das nächste AGES-Radar erscheint am 28.11.2024.
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Aktualisiert: 31.10.2024