Kastanienminiermotte
Cameraria ohridella
Steckbrief
Die Kastanienminiermotte ist historisch durch eine extrem rasche Verbreitung in Europa gezeichnet. Als Wirtspflanze dient die Gewöhnliche Rosskastanie, deren Blätter sich durch einen Befall verfärben und abfallen, wodurch ein frühzeitliches herbstliches Bild in gesamten Parkanlagen entstehen kann.
Aussehen
Die Kastanienminiermotte ist ein bis zu 5 mm großer Schmetterling. Die kupferfarbenen Vorderflügel tragen weiße Querbinden, die außen schwarz gerändert sind. Die Hinterflügel des Insekts sind fransig ausgebildet, was auf eine Anpassung an das Schweben als sogenanntes Luftplankton gedeutet wird.
Die Larven sind mit ihrem abgeflachten Körper, den stark reduzierten Beinen und dem flachen, dreieckigen Kopf mit den kräftigen Mundwerkzeugen perfekt an das Leben im inneren des Blattes (der Mine) angepasst. Sie durchlaufen vier bis fünf fressende Stadien, bevor sie ihre endgültige Größe von etwa 5 mm erreichen.
Biologie
Die Kastanienminiermotte wird auch Rosskastanienminiermotte genannt und gehört zur Familie der Miniermotten (Gracillariidae). Der Name „Miniermotte“ deutet auf die Lebensweise der Larven hin. Diese bohren sich nach dem Schlupf aus dem Ei in das Blatt und fressen in den oberen Gewebeschichten, ohne die darüber liegende Epidermis des Blattes zu verletzen. Auf diese Weise entstehen im Blatt abgeschlossene Hohlräume, die sogenannten „Minen“. In diesen Minen können sich die Larven, vor äußeren Einflüssen geschützt, entwickeln.
Der alljährliche Entwicklungszyklus der Kastanienminiermotte beginnt mit dem Schlupf der Falter nach der Überwinterung, etwa ab Mitte April. Ab Ende April legen die Weibchen bis zu 70 Eier auf die Blattoberseite der Rosskastanienblätter ab. Die ovalen, weniger als 0,5 mm großen und fast durchsichtigen Eier werden bevorzugt in die Oberflächenvertiefungen bei den Blattnerven abgelegt und sind mit freiem Auge kaum erkennbar. Nach etwa zehn Tagen schlüpft die Larve und bohrt sich sofort in das Blatt ein. Die gesamte Entwicklung erfolgt nunmehr innerhalb des Blattes in der Mine. Die Larven fressen hauptsächlich den oberen Teil des Blattgewebes, das so genannte Palisadenparenchym, welches reich an Chlorophyll ist und die Grünfärbung des Blattes ausmacht.
Nach den fressenden folgen noch zwei spinnende Larvenstadien, von denen das erste den Minenboden mit Gespinst auskleidet und dadurch eine leichte Wölbung auf der Blattunterseite erzeugt. In der so entstandenen Ausbuchtung fertigt das zweite Spinnstadium einen linsenförmigen Kokon an, in dem die Verpuppung stattfindet. Die gesamte Larvalentwicklung dauert, abhängig von der Witterung, etwa ein Monat, danach folgt eine etwa zweiwöchige Puppenruhe.
Ab etwa Mitte Juni schlüpfen in unseren Breiten die ersten Motten der „Frühlingsgeneration“. Es folgen noch mindestens zwei weitere Generationen, wobei die Falter der „Sommergeneration“ ab Mitte August bis weit in den Herbst hinein schwärmen. Die Falter der dritten Generation schlüpfen meist nicht mehr im selben Jahr, sondern überwintern im Puppenstadium in ihren Kokons in den Minen der abgefallenen Blätter. Nach einer etwa sechs Monate dauernden Winterruhe schlüpfen die Falter im folgenden Frühjahr aus dem Falllaub und der Entwicklungszyklus beginnt von Neuem.
Schadsymptome
Die Larven der Kastanienminiermotte können unübersehbare Schäden anrichten, welche an den Blättern von Rosskastanien verursacht werden. In den Sommermonaten färben sich dadurch ganze Bäume vorzeitig braun. Mittlerweile ist bekannt, dass die Auswirkungen des Mottenbefalls auf die Gesundheit der Bäume weit weniger gravierend sind, als der optische Eindruck glauben macht. Dennoch wird dadurch die Ästhetik und die Erholungsfunktion der öffentlichen Grünanlagen in Europas urbanen Siedlungsgebieten stark beeinträchtigt.
Durch die Fraßtätigkeit der Larven wird die obere Epidermis über den befallenen Stellen am Blatt von der Wasserzufuhr abgeschnitten und welkt. Auf diese Weise entstehen die typischen, nur auf der Blattoberseite sichtbaren braunen Flecken. Bei starkem Befall gehen einzelne Minen ineinander über, wodurch große, unregelmäßige Verbräunungen entstehen. Im Extremfall kann die gesamte Blattoberfläche von dutzenden bis hunderten Raupen unterminiert sein. In der Folge vertrocknen stark befallene Blätter und rollen sich vom Rand her ein. Die Rosskastanien werden dann bereits im Juli vollständig braun, im August kann bereits der Laubfall einsetzen.
Bei oberflächlicher Betrachtung kann das Schadbild der Miniermotte mit Blattrandnekrosen verwechselt werden, die durch Trockenstress entstehen. Außerdem erzeugt auch ein pflanzenpathogener Pilz, Guignardia aesculi, braune Flecken auf Rosskastanienblättern. Hält man die Blätter jedoch gegen das Licht, sind in den Minen kleine Räupchen bzw. Spuren ihrer Ausscheidungen sichtbar. Als zusätzliches Unterscheidungsmerkmal sind die durch Trockenstress oder Pilzbefall entstehenden Flecken auf Blattober- und -unterseite gleichermaßen gut zu erkennen und oftmals von einem gelben Rand umgeben.
Entlaubte Bäume treiben zum Teil ein zweites Mal aus, vereinzelt kann im Spätsommer und Herbst auch eine „Notblüte“ auftreten. Dieses Phänomen ist jedoch nicht alleine auf den Miniermottenbefall zurückzuführen, sondern eine allgemeine Reaktion der Rosskastanien auf Stresssituationen.
Jüngere Untersuchungen haben ergeben, dass der physiologische Schaden an den Rosskastanien selbst durch starken Miniermottenbefall gering ist. Das Wachstum der Bäume und die Einlagerung von Reservestoffen finden zum großen Teil in der ersten Jahreshälfte statt. Bis Ende Juni ist das Ausmaß der Zerstörung der Blattfläche selbst bei starkem Befall noch nicht so groß, dass die Photosyntheseleistung der Rosskastanien wesentlich beeinträchtigt wäre.
Erst in der zweiten Jahreshälfte macht sich der Verlust an funktionsfähiger Blattfläche in der Wasser- und Nährstoffbilanz der Bäume bemerkbar. In dieser Zeit wird der Großteil der Assimilate (wie Kohlenhydrate und Glucose) in die Produktion von Samen investiert. Darum hat der Mottenbefall für die Kastanie keine gravierenden Folgen. Nur die Qualität der Samen ist von der Befallsstärke abhängig, was für gepflanzte Bäume im städtischen Raum jedoch keine Rolle spielt.
Wirtspflanzen
Die wichtigste Wirtspflanze der Kastanienminiermotte ist die weißblühende Rosskastanie (Aesculus hippocastanum L.). Diese Baumart erfreut sich wegen ihrer prächtigen Blüte im Frühjahr großer Beliebtheit. Auf der Edelkastanie (Castanea sativa L.) kann sich die Motte hingegen nicht entwickeln.
Es gibt begründete Zweifel daran, ob die weißblühende Rosskastanie tatsächlich auch die ursprüngliche Wirtspflanze ist. So ist z. B. verwunderlich, dass sich der kleine Schmetterling erst in den vergangenen Jahrzehnten über Europa ausgebreitet hat, obwohl seine Wirtspflanze bereits seit mehr als 300 Jahren weit verbreitet ist. Ebenso auffällig ist der bereits Jahrzehnte andauernde Massenbefall der Rosskastanien. Diese epidemischen Populationsdichten der Miniermotte deuten eher auf eine erst in jüngster Zeit erschlossene Nahrungsressource hin und nicht auf ein in evolutionären Zeiträumen eingespieltes Verhältnis zwischen Pflanze und Pflanzenfresser. Klarheit über die ursprüngliche Wirtspflanze wird es jedenfalls erst dann geben, wenn ihre geographische Herkunft geklärt worden ist (siehe Verbreitung).
Neben der weißblühenden Rosskastanie wurde auch auf anderen Rosskastanienarten geringer Befall durch die Kastanienminiermotte festgestellt, beispielsweise auf der in Europa ebenfalls oft gepflanzten Aesculus x carnea, einer rotblühenden Hybride aus der gemeinen Rosskastanie und der amerikanischen roten Pavie (Aesculus pavia L.). Die Sterblichkeit der Miniermotten ist auf diesen Wirtspflanzen jedoch sehr hoch, was sowohl auf mechanische Barrieren als auch auf giftige Blattinhaltsstoffe zurückzuführen sein dürfte. Von den ca. 20 weltweit bekannten Rosskastanienarten dürften die meisten amerikanischen Arten weitgehend resistent gegen den Befall durch die Kastanienminiermotte sein.
Verbreitung
Mittlerweile kommt die Kastanienminiermotte in ganz Europa vor, von Griechenland, der dalmatinischen Küste, Norditalien und Südfrankreich im Süden bis Südskandinavien, Norddeutschland, Dänemark, den Beneluxstaaten und England im Norden. Die derzeitige westliche Ausbreitungsgrenze liegt in Frankreich und Spanien, die östlichsten Meldungen stammen aus der Ukraine.
Vermutlich trat die Miniermotte an künstlich angelegten Rosskastanienbeständen in der Region rund um den Ohridsee (Mazedonien) in den frühen 70er Jahren zum ersten Mal auf. Im Herbst 1989 wurden vereinzelte Minen der Kastanienminiermotte im Raum Linz gefunden. Bereits 1990/91 konnte dort eine Massenvermehrung festgestellt werden, 1992 entdeckte man die Motte im Raum St. Pölten. Seitdem hat sich der Schädling explosionsartig über ganz Österreich ausgebreitet. Ausgehend von diesem zweiten Befallsherd in Österreich verbreitete sich die Kastanienminiermotte vor allem nach Nordwesten, aber auch in die östlichen und südlichen Nachbarländer. Zusätzlich expandierte auch die Population vom Entdeckungsgebiet in Mazedonien ihr Areal in die übrigen Balkanländer und nach Osteuropa.
Die ursprüngliche Herkunft konnte trotz jahrelanger, weltweiter Suche noch nicht geklärt werden. Derzeit werden verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen. Die wahrscheinlichste davon ist, dass die Motte aus dem ostasiatischen Raum stammt, wo es nahe Verwandte der Miniermotten gibt.
In ihrem ursprünglichen Habitat könnten die Populationsdichten der Miniermotte so niedrig sein, dass sie bis dato noch keine nennbaren Schäden angerichtet haben. Es ist auch möglich, dass die Kastanienminiermotte tatsächlich aus dem Balkan oder aus einem angrenzenden kleinasiatischen Ursprungsgebiet stammt. In diesem Fall wäre es sehr wahrscheinlich, dass die rasante Ausbreitung in Europa erst nach einem in den vergangenen Jahrzehnten vollzogenen Wirtspflanzenwechsel stattgefunden hat.
Vorbeugung und Bekämpfung
- In isolierten, überschaubaren Rosskastanienbeständen kann mit der gründlichen Entfernung des herbstlichen Falllaubes und damit der Überwinterungsstadien der Befall im folgenden Frühjahr deutlich gesenkt werden. Die Entsorgung des Laubes sollte über den Hausmüll oder in Großkompostierungsanlagen erfolgen. Diese Maßnahme wirkt jedoch nur gegen die erste Generation. Spätestens im nächsten Herbst hat sich die Mottenpopulation aber erholt und die dritte Mottengeneration kann bereits wieder epidemische Ausmaße erreichen.
- Vor Flugbeginn der ersten und zweiten Generation kann ein für die Kastanienminiermotte spezifisches Pheromon eingesetzt werden. Das Pheromon lockt die männlichen Motten an. Dadurch kommt es zu einer Reduktion der Eiablage und zur Verringerung der Schadintensität. Je nachdem welcher Fallentyp eingesetzt wird, dient diese Maßnahme zur Befallskontrolle oder zur direkten Bekämpfung.
- Die Pheromon-Trichterfalle besteht aus einem mit Wasser und etwas Spülmittel gefüllten Auffangbehälter mit aufgesetztem Trichter und Deckel und eignet sich zum Massenfang der Mottenmännchen. Die Trichterfalle sollte witterungsabhängig ab Anfang/Mitte April in der Baumkrone und in Stammnähe aufgehängt werden. Alle vier bis sechs Wochen sollte ein Pheromonwechsel vorgenommen werden und die Falle sollte bis September im Baum verbleiben.
- Die Pheromon-Deltafalle (mit Klebeboden) eignet sich ideal zur Bestimmung des Flugbeginns sowie zur Einschätzung der Mottendichte.
- Neben diesen Fallen besteht die Möglichkeit zu Beginn des Falterfluges einen Leimring am Stamm anzubringen, um die flugträgen Weibchen daran zu hindern, in die Krone hinaufzukriechen. Diese Maßnahme ist im April nach dem Schlupf bzw. der Paarung am wirkungsvollsten.
- Der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel sollte sowohl aus Umweltschutz- als auch aus Kostengründen genau geprüft werden. Der Wirkstoff Azadirachtin zeigt Wirkung gegen die Larven der Kastanienminiermotte (siehe Verzeichnis der in Österreich zugelassenen Pflanzenschutzmittel)
- Der optimale Applikationszeitpunkt, nach der vollständigen Entfaltung der Rosskastanienblätter (das ist wenn die ersten Kastanienblüten erscheinen), dem Schlupf der Larven bzw. beim Sichtbarwerden der ersten Blattminen, entscheidet maßgeblich über den Bekämpfungserfolg.
Fachinformation
Publikationen
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Grabenweger, G., Kehrli, P., Zweimüller, I., Augustin, S., Avtzis, N., Bacher, S., Freise, J., Girardoz, S., Guichard, S., Heitland, W., Lethmayer, C., Stolz, M., Tomov, R., Volter, L., Kenis, M., 2010. Temporal and spatial variations in the parasitoid complex of the horse chestnut leafminer during its invasion of Europe. Biol. Invasions 12(8), 2797-2813. DOI 10.1007/s10530-009-9685-z
Projekte
EU-Projekt CONTROCAM: “Sustainable control of the horse chestnut leafminer, Cameraria ohridella (Lepidoptera, Gracillariidae), a new invasive pest of Aesculus hippocastanum in Europe”, 01.01.2001 – 31.12.2004.
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Aktualisiert: 21.03.2024