Kinderlähmung

Polio

Steckbrief

Polioviren, die Erreger der Kinderlähmung, waren vor Einführung des Impfstoffes ab 1954 weltweit verbreitet. In Österreich wurden zuletzt im Jahre 1980 Polio-Wildviren nachgewiesen.

Vorkommen

Bis zur Einführung des Impfstoffes weltweit. Durch die konsequente Durchführung von Impfmaßnahmen im Rahmen der globalen Polioeradikationsinitiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ab 1988 konnte das Vorkommen von Polioviren beträchtlich reduziert werden: Der amerikanische Kontinent ist seit 1994 poliofrei, der westpazifische Raum seit 2000. Für den europäischen Raum stellte die WHO im Jahre 2002 das Zertifikat „poliofrei“ aus. Weltweit wurden im Jahr 2017 Fälle von Kinderlähmung nur mehr in Pakistan und Afghanistan registriert.

Erregerreservoir

Mensch

Infektionsweg

Fäkal-oral (Schmierinfektion), Tröpfcheninfektion, kontaminiertes Wasser und kontaminierte Lebensmittel

Inkubationszeit

7 bis 14 Tage

Symptomatik

90 bis 95 % aller Infektionen mit Polioviren verlaufen asymptomatisch. Bei 4 bis 8 % aller Infizierten kommt es zu einer so genannten abortiven Poliomyelitis mit Fieber, Gastroenteritis, Übelkeit, Erbrechen, Abgeschlagenheit, Hals- und Kopfschmerzen. Die Zellen des Zentralnervensystems werden nicht betroffen und die Erkrankung heilt folgenlos aus. Bei 1 bis 2 % aller Infizierten kommt es zu einer Infektion der Zellen des Zentralnervensystems mit Fieber, Nackensteifigkeit, Rückenschmerzen und Muskelspasmen. Nur bei 0,1 bis 0,5 % aller Infizierten kommt es zur Entwicklung der paralytischen Poliomyelitis, der „klassischen“ Kinderlähmung.

Therapie

Die Behandlung erfolgt symptomatisch, es gibt keine spezifische Therapie mit antiviralen Stoffen.

Vorbeugung

Grundimmunisierung mit inaktivierten Polio-Vakzinen (IPV)

Situation in Österreich

In Österreich wurden zuletzt im Jahre 1980 Polio-Wildviren isoliert, Polio-Impfviren konnten bis 2001 vereinzelt nachgewiesen werden.

Eine wichtige Forderung der WHO ist die Durchführung der AFP-Surveillance (AFP = akute schlaffe Lähmung, acute flaccid paralysis), die in Österreich seit 1998 flächendeckend durchgeführt wird. Es besteht auch ein epidemiologisches Labornetzwerk zur österreichweiten Enterovirus-Überwachung (Polioviren sind Enteroviren). Durch die Untersuchung von Proben auf Enteroviren im Rahmen dieses Überwachungsystems können Aussagen zu zirkulierenden Enteroviren und damit auch zum eventuellen Auftreten von Polio in Österreich getroffen werden.

Fachinformation

Polioviren gehören zum Genus Enterovirus, die der Familie der Picornaviridae zuzuordnen sind. Es sind kleine, sphärische, unbehüllte RNA-Viren mit einzelsträngiger (+) –RNA von ca. 25 nm Durchmesser. Das Poliovirus ist ein umweltstabiles Virus. Es ist gegenüber vielen proteolytischen Enzymen sowie gegenüber etlichen Desinfektionsmitteln stabil. Ebenso ist es aufgrund der fehlenden Phospholipidhülle gegen lipidlösliche Mittel wie Äther oder Chloroform resistent. Es wird auch bei niedrigem ph-Wert (pH 3) wie z. B. durch Magensäure nicht inaktiviert.

Das einzige Reservoir für Polioviren ist der Mensch. Serologisch lassen sich 3 Typen (Serovare) unterscheiden:

  • Poliovirus Typ 1 (Typ Brunhilde oder Mahoney) ist am häufigsten und kann schwere Erkrankungen auslösen
  • Poliovirus Typ 2 (Typ Lansing) erzeugt eher leichte Verläufe
  • Poliovirus Typ 3 (Typ Leon) kann schwere Erkrankungen verursachen, ist jedoch relativ selten

Übertragung

Das Virus wird in der Regel fäkal-oral übertragen und vermehrt sich anschließend in den Darmepithelzellen sehr massiv, sodass bis zu eine Milliarde infektiöse Viren pro Gramm Stuhl ausgeschieden werden können. Es spielen daher Schmierinfektion, aber auch Übertragung durch kontaminiertes Wasser und kontaminierte Lebensmittel eine Rolle. Da es auch zu einer primären Virusvermehrung in den Epithelzellen des Rachenraumes kommt, kann das Virus auch durch Tröpfcheninfektion übertragen werden.

Polioviren waren vor Einführung des Impfstoffes (ab 1954) weltweit verbreitet. Durch die konsequente Durchführung von Impfmaßnahmen im Rahmen der globalen Polioeradikationsinitiative der WHO (Weltgesundheitsorganisation) mit Beginn im Jahre 1988 konnte das Vorkommen von Polioviren beträchtlich reduziert werden: Der amerikanische Kontinent ist seit 1994 poliofrei und im Jahre 2000 konnte der westpazifische Raum für poliofrei erklärt werden. In Österreich wurden zuletzt im Jahre 1980 Polio-Wildviren detektiert.

Für den europäischen Raum stellte die WHO im Jahre 2002 das Zertifikat „poliofrei“ aus. Eine weltweite Eradikation von Polio gilt als möglich, da der Erreger als einziges Reservoir den Menschen hat und eine natürliche Infektion bzw. eine Impfung eine lebenslange Immunität bewirkt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am 20. September 2015 das Wildpoliovirus Typ 2 (WPV2), eines von drei Wildpoliovirus-Serotypen weltweit für ausgerottet erklärt. Das letzte WPV2 konnte 1999 in Nordindien detektiert werden. Dies ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur weltweiten Ausrottung der Poliomyelitiserreger.

WPV3 wurde weltweit seit November 2012 (in Nigeria) nicht mehr detektiert. Das Auftreten der einzigen verbleibenden endemischen WPV1 Stämme ist aktuell auf die Regionen Pakistan und Afghanistan beschränkt: Weltweit wurden im Jahr 2017 nur mehr aus Pakistan und Afghanistan die bislang geringste Anzahl von 22 Fällen an Poliomyelitis Erkrankungen weltweit registriert. Im Jahr 2017 feierte die europäische Region der WHO den 15. Jahrestag der Zertifizierung als poliofreie Region. Solange irgendwo auf der Welt Polioviren zirkulieren, besteht jedoch die Gefahr einer Wiedereinfuhr in die europäische Region. Deshalb muss jedes Land weiterhin seinen Beitrag zur Erhaltung der Poliofreiheit leisten und weiterhin entsprechende Aufgaben umsetzen: Die Gewährleistung einer hohen Durchimpfungsrate, um eine mögliche Verbreitung des Virus zu verhindern, eine hochwertige und flächendeckende Enterovirus-Überwachung, um frühzeitig Fälle zu detektieren sowie eine dem WHO Standard entsprechende, sichere Lagerung der Polioviren.

Symptomatik

90 bis 95 % aller Infizierten mit Polioviren verlaufen asymptomatisch. Es kommt jedoch zur Ausbildung von Antikörpern und zu einer sogenannten stillen Feiung. Bei 4 bis 8 % aller Infizierten kommt es zu einer abortiven Poliomyelitis: Nach einer Inkubationszeit von 7 bis 14 Tagen kommt es zu einer etwa dreitägigen Erkrankung mit unspezifischer Symptomatik wie Fieber, Gastroenteritis, Übelkeit, Erbrechen, Abgeschlagenheit, Hals- und Kopfschmerzen. Die Zellen des Zentralnervensystems werden nicht betroffen und die Erkrankung heilt folgenlos aus.

Bei 1 bis 2 % aller Infizierten kommt es jedoch zu einer Infektion der Zellen des Zentralnervensystems. Etwa eine Woche nach Abklingen des Prodromalstadiums (entspricht den Symptomen der abortiven Phase) entwickelt sich neben neuerlichem Fieberanstieg, Nackensteifigkeit, Rückenschmerzen und Muskelspasmen eine aseptische Meningitis, wobei Paralysen der Muskulatur fehlen (nichtparalytische Poliomyelitis).

Nur bei 0,1 bis 0,5 % aller Infizierten kommt es zur Entwicklung der paralytischen Poliomyelitis. Dies ist die Form, die als „klassische Kinderlähmung“ bekannt ist. Beim häufiger auftretenden biphasischen Verlauf klingen die Symptome der aseptischen Meningitis zunächst ab, nach etwa 2 bis 3 Tagen treten plötzlich Fieber und asymmetrisch verteilte Paralysen vor allem der Bein-, Arm-, Bauch-, Thorax- und Augenmuskulatur auf.

Bei der seltener auftretenden bulbären und bulbospinalen Poliomyelitis kommt es aufgrund des Befalls von Hirnnerven und zervikalen Rückenmarks zu Schluckstörungen oder Atem- und Kreislaufregulationsstörungen. Diese schwere Verlaufsform hat eine schlechte Prognose und ist mit einer hohen Letalität belastet.

Als Spätfolgen können Paresen, Durchblutungs- und Hauternährungsstörungen, sowie Gelenksschäden, Skoliose der Wirbelsäule und Fußdeformitäten sowie Invalidität als Dauerschäden zurückbleiben. Das Post-Poliomyelitis-Syndrom tritt Jahre bis Jahrzehnte nach Erkrankungsbeginn auf. Dessen Symptome zeigen sich in extremer Müdigkeit, Muskelschmerzen, progressive Muskelatrophien, Atem- und Schluckbeschwerden, Gelenkdeformationen, Muskelzucken und Kälteintoleranz.

Therapie

Die Behandlung erfolgt symptomatisch, da es keine spezifische Therapie mit antiviralen Stoffen gibt.

Präventivmaßnahmen-Impfung

Die Grundimmunisierung mit inaktivierten Polio-Vakzinen (IPV) wird entsprechend dem Impfkalender empfohlen. Der Polio-Lebendimpfstoff ("Schluckimpfung") mit abgeschwächten Erregern wird wegen des – wenn auch sehr geringen - Risikos einer Vakzine-assoziierten Poliomyelitis (VAPP) in Österreich nicht mehr empfohlen.

Überwachung

Polio ist eine meldepflichtige Krankheit, Meldepflicht gilt bei Verdachtsfall, Erkrankungsfall oder Sterbefall nach dem Epidemiegesetz. In Österreich wurden zuletzt im Jahre 1980 Polio-Wildviren isoliert, Polio-Impfviren konnten bis 2001 vereinzelt nachgewiesen werden. Für den europäischen Raum stellte die WHO im Jahre 2002 das Zertifikat "poliofrei" aus.

AFP-Surveillance: Eine wichtige Forderung der WHO ist die Durchführung der AFP-Surveillance (AFP = akute schlaffe Lähmung, acute flaccid paralysis), welche in Österreich seit 1998 flächendeckend durchgeführt wird. Über 80 pädiatrische und neurologische Abteilungen in Österreich sind in dieses Surveillance-System eingebunden. Bei dieser Form der Überwachung sollen alle AFP-Fälle im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zentral erfasst werden. An die Nationale Referenzzentrale für Polio sollen 2 Stuhlproben (Mindestabstand der Probengewinnung 24-48 Stunden) innerhalb von 14 Tagen nach Beginn der Erkrankung zur Virusisolierung gesandt werden.

Enterovirus-Überwachung: Es gibt ein epidemiologisches Labornetzwerk zur österreichweiten Enterovirus-Überwachung. Daran teilnehmende Laboratorien führen aus verschiedenen Patientenmaterialien Enterovirusdiagnostik durch. Diese Laboratorien melden quartalsweise die Zahl der auf Enteroviren untersuchten und die Zahl der positiven Proben an das Gesundheitsministerium und an die Nationale Referenzzentrale für Polio. Alle Enterovirus-PCR-positiven Proben werden entsprechend der WHO Empfehlung zur Virusisolierung und Typisierung mittels Sequenzierung an die Nationale Referenzzentrale für Polio weitergeleitet.

Weiters sind österreichweit Kinderabteilungen und Pathologien an diesem Surveillancesystem beteiligt, die Proben von Fällen mit neurologischer Symptomatik oder mit unklarer Todesursache an die Nationale Referenzzentrale für Polio senden. Durch die Untersuchung von Proben auf Enteroviren im Rahmen dieses Überwachungsystems können Aussagen zu zirkulierenden Enteroviren und damit auch zum eventuellen Auftreten von Polio in Österreich getroffen werden.
Die im Rahmen des Enterovirus-Überwachungsprogramms eingesandten Proben werden an der Nationalen Referenzzentrale für Polio kostenlos untersucht.

Diagnostik

Zum Nachweis von Polioviren eignen sich Stuhlproben, Liquor (bei ZNS-Manifestation), ferner Rachenabstriche, Rachenspülwasser, Serum (für AK-Nachweis).

Der direkte Erregernachweis erfolgt mittels Virusanzucht in Zellkultur mit anschließender Typisierung (Sequenzierung), Enterovirus-RNA wird mittels Reverse Transkriptase-PCR (RT-PCR) bestimmt. Die Differenzierung zwischen Impf- und Wildtypstämmen erfolgt in Regionalen Referenzzentren mittels molekularbiologischen Methoden.

Kontakt

Leitung

Mag. Birgit Prochazka

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Aktualisiert: 10.10.2023