Um beim Gamswild die Bedeutung von Infektionskrankheiten und Parasitenbefall sowie deren Auswirkung auf die Bestandsdynamik zu ermitteln, hat der Tiroler Jägerverband in Zusammenarbeit mit unserem Institut für veterinärmedizinische Untersuchungen in Innsbruck im Jahr 2019 einen Fragenbogen für eine Datenerhebung über die Gesundheit der Tiroler Gamswildbestände erarbeitet. 208 Jäger:innen aus allen Tiroler Verwaltungsbezirken haben diesen Fragebogen für insgesamt 254 Reviere ausgefüllt. Über die Hälfte (57 %) der befragten Personen betreuten dabei ihr Revier seit 10 Jahren oder länger, 18 % zwischen 6 bis 10 Jahren und 25 % weniger als 6 Jahre.
Bei der Umfrage haben 42 % der Befragten angegeben, dass sich der Gamsbestand in ihrem Revier nicht verändert hat. 26 % beobachteten eine Zunahme und 32 % eine Abnahme. Als Ursache (Mehrfachangaben möglich) für diese Abnahme geben von den 32 % der Reviere, in welchen der Bestand abgenommen hat, die Hälfte (50 %) die Freizeitnutzung im Sommer und 45 % die Freizeitnutzung im Winter an. Weitere 44 % nennen Krankheiten als Ursache. Darauf folgen mit 30 % die jagdliche Übernutzung, 27 % der Lebensraumverlust, 17 % klimatische Faktoren, und 12 % die Konkurrenz zu anderen Schalenwildarten.
Neben Krankheiten, die die Jäger:innen in ihrem Revier bei „gesund“ erlegten Gamswild beobachten, wurden besonders jene Krankheiten in der Befragung erfasst, die bei „Hegeabschüssen“ und „verendet“ aufgefundenen Gemsen beobachtet werden. Die Gamsräude ist in jenen Tiroler Gamswildrevieren, in welchen diese durch Milben verursachte Parasitenkrankheit derzeit verbreitet ist, von großer Bedeutung. Aber auch Gamsblindheit, bakteriell und parasitär bedingte Lungenerkrankungen, Leberegel, Durchfall sowie äußere Verletzung werden, regional abhängig, in unterschiedlicher Häufigkeit festgestellt.
In der Befragung wurden auch Einflüsse der Almwirtschaft, der verschiedenen gealpten Nutztierarten sowie die Ausbringung von Gülle erhoben. Von Interesse war, inwieweit eine Überschneidung der Habitate von Stein- und Gamswild negative Auswirkungen auf den Gesundheitsstatus bei Gemsen hat. Die Datenerhebung ergab einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von Steinwild im Revier und dem vermehrten Auftreten von Räude, Gamsblindheit und Lungenentzündung bei Fallwild und Hegeabschüsse. Auch die Almbewirtschaftung mit Schafen wurde mit einer erhöhten Erkrankungsrate mit Gamsblindheit und Lungenentzündung bei Fallwild und Hegeabschüssen in Verbindung gebracht. Eine Zu-oder Abnahme von Nutztieren auf den Almen scheint keinen besonderen Einfluss auf die Populationsgröße des Gamswildes zu haben, sowie auch keine Korrelation zwischen der Ausbringung von Gülle mit dem Auftreten von Leberegel festgestellt werden konnte.
Infektiöse, durch Parasiten, Bakterien oder virale Erreger verursachte Krankheiten aber auch solche mit nicht infektiösen Hintergrund können beim heimischen Gamswild als Einzeltiererkrankung oder seuchenhaft auftreten. Die aktive oder passive Überwachung des Gesundheitsstatus von Gamswildbeständen ist daher eine Form von Frühwarnsystem, um neu aufkommende Epidemien und Krankheitsausbrüche in dieser Wildtierpopulation frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls Korrekturmaßnahmen einleiten zu können. Besonders bei einer Zunahme der Hegeabschüsse oder vermehrten Fallwild im Revier sollten unverzüglich diagnostische Abklärungsuntersuchungen zur Eruierung der Krankheits- und Todesursachen durchgeführt werden.
Publikation: Just, M., Lettl, C., Glawischnig, W., Tripolt, T. (2020). Projekt Gamswildumfrage: Was macht unser Gamswild krank? Jagd in Tirol, November 2020, Jahrgang 72